Kolumne 15/15

Jaqueline
Scheiber

© Maximilian Salzer

Betrachtung in eigener Sache

Mehr als ein Jahr habe ich mich gemeinsam mit Betrachter/innen der Ausstellung „Ich bin alles zugleich“ mit dem Thema der Selbstdarstellung beschäftigt. Ich habe einzelne Facetten der Darstellungsformen aufgefächert und einen Blick an ihre Grenzen gewagt. Ich habe mir die Frage gestellt, wie frei wir in unseren Ausdrucksformen sind und woher das Verlangen nach Darstellung eigentlich rührt. Fünfzehn Monate sind vergangen, seitdem die Landesgalerie Niederösterreich ihre Pforten erstmals öffnete und den Auftakt für den Diskurs zwischen Architektur, Kunst und Besucher/in machte. Nun ziehe ich Bilanz. Was habe ich gelernt? Was habe ich gemeinsam mit Ihnen entdeckt und was hat sich in meiner Wahrnehmung verändert?

Eine ganze Ausstellung einem Thema zu widmen, das mit so vielen Widersprüchen und Vorurteilen behaftet ist, ist durchaus außergewöhnlich und mutig. Denn mehr denn je gewährt die von Christian Bauer kuratierte Ausstellung nicht nur Einblick in den Künstler oder die Künstlerin, sie öffnet ein Fenster zu unserer eigenen Identität und ihrer Außenwirkung. Und eben dieser Blick ist es, der meine Sinne schärfte, für die Selbstoffenbarung in der Erscheinung, für die Individualität in der Entscheidung und der Geschichte hinter dem Auftreten.

Fünfzehn Mal habe ich mich an meinen Schreibtisch begeben und meine Gedanken gesammelt. Ich habe mich selbst in Kontext gesetzt und dabei erfahren, welche Mechanismen und Formen der Darstellung mir persönlich zu Grunde liegen. Offensichtliche wie meine Haarfarbe oder meine Tattoos. Merkmale, die ich nutze, um mich zu individualisieren. Weniger oberflächliche, wie die Art und Weise wie ich wohne oder wie ich mir Sprache nützlich mache. Vier Mal habe ich die Ausstellung besucht und sie aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Ich habe die wechselnden Werke samt ihrer Wirkung aufgesogen und sie als Fundament genutzt. Ein Fundament, aus dem weitere Diskurse und Überlegungen wachsen konnten.

Mit dem Vorurteil, die Selbstdarstellung wäre ein narzisstischer Habitus, muss ich aufräumen. Denn die Darstellung geschieht immer simultan und automatisch. Sie wird nicht zwingend auf Bühnen und in Galerien ausgelebt. Viel mehr ist sie etwas zutiefst Menschliches, das sich durch alle Lebensbereiche zieht und gerade in der Kunst die Möglichkeit bekommt, Grenzen aufzuzeigen und sie zu sprengen.

Am Anfang dieser Reise stand die Idee, erstmalig über einen längeren Zeitraum eine Ausstellung von einer Person kommentieren zu lassen, die fernab der Kunstgeschichte ihre Expertise einbringt. Eine Expertise, die einzig und allein in dem bewussten Umgang mit der Selbstdarstellung liegt. Heute weiß ich, dass die Abstrahierung des Selbst, die Vervielfachung und unverblümte Offenlegung ein Bedürfnis und keine Charaktereigenschaft ist.

Schließlich haben wir uns verortet. Sie, als Betrachter/innen, wie Sie die Räume mit Ihrer Präsenz füllten und selbst Teil der Ausstellung wurden. Ich, wie ich Monat für Monat als Übersetzerin fungierte und versuchte, die Faszination um die Selbstdarstellung zu entschlüsseln.

Was mir gelungen ist, ist eine Vielfalt in mein und damit auch Ihr Leben zu lassen. Das Fenster ein Stück weit zu öffnen und die Welt in ihren Abstufungen herein zu lassen. Sie nicht nur für das Schöne zu schätzen, sondern auch in ihrer Verzweiflung und Absurdität zu betrachten. Denn was wir alle gemein haben, ist die Sehnsucht uns zu verorten. In einer Zeit, an einem Ort und einem Gefüge, das sich Gesellschaft nennt.

 

Jaqueline Scheiber

 

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