Kolumne 03/15

Jaqueline
Scheiber

Authentisch. Ein Begriff der zwischen Unwort und einzigem Ziel taumelt. Authentisch zu sein bedeutet per Definition „den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig“. Bezugnehmend auf diese Beschreibung ist es nicht auch wahr, dass die Tatsachen gerade in der Wahrnehmung einer Person etwas mit dem Zeitgeist zu tun haben? Was als tatsächlich und glaubwürdig empfunden wird, entscheidet in erster Linie nicht der/die Akteur/in, sondern viel mehr die Beobachter/innen. Gerade die Kunst bietet heute, mehr denn je, Spielräume, geschützte Orte und Bühnen, die für wahr erklärte Glaubenssätze revolutionieren. Sei es der Begriff des Geschlechtes, die Grenzen einer Schichtzugehörigkeit oder die Überwindung des realen in den digitalen Raum. Themen, die der gesellschaftliche Diskurs nur partiell zur Verfügung stellt, blühen unter dem Deckmantel der schaffenden Kunst auf, ebnen Wege für Tatsachen, wie sie oft erst in einer Retrospektive nachvollzogen werden können.

Am Beispiel von Margot Pilz, die in den 1970er Jahren feministische Kunst schuf und dabei den damaligen Blick auf die Frau kritisierte, im Zuge dessen auch ihre zugeschriebene Rolle hinterfragte, galt wohl in vielen Augen nicht als tatsächlich. Betritt eine Künstlerin wie Margot Pilz heute einen Raum, fällt es Mensch schwer an ihrer Authentizität zu zweifeln. In Bilderreihen wie „Das letzte Abendmahl – Hommage an Kremser Schmidt“, wie es in der derzeitigen Ausstellung zu betrachten ist, bekennt eine Frau Gesicht, ersetzt die Rolle des Mannes in einem Jahrhunderte zuvor männlich dominierten Sujet. Den Erfolg und die Wahrhaftigkeit ihrer Arbeit kommentiert sie sinngemäß mit einer zynischen, doch nicht minder lebenslustigen Aussage: „(...) dass ich die Lorbeeren für meine Arbeit erlebe, liegt vor allem daran, dass ich so alt geworden bin.

Daraus lässt sich schließen, dass die Selbstdarstellung nicht zuletzt auch ein Hoffnungsträger ist. Sie wird in einem Atemzug mit Mut und Neugierde gesprochen und zeigt ihr Potential in einer Chance tief verankerte Vorstellungen zu durchbrechen und somit Wandel anzuregen. Das ist ein Prozess vom Privaten in das Öffentliche. Von der Modellierung der eigenen Person zur Figur einer Bewegung.

Jaqueline Scheiber  junge Schriftstellerin, Sozialarbeiterin und selbst ernannte Selbstdarstellerin  ist Autorin der Kolumne "Betrachtung in eigener Sache", die parallel zur Ausstellung "Ich bin alles zugleich – Selbstdarstellung von Schiele bis heute" eine weitere Facette zur Auseinandersetzung mit dem Selbst bietet. Leser/innen finden dadurch eine anonyme Möglichkeit, eine Reflexionsbasis für das Thema zu schaffen und können angeregt werden, die Ausstellung unter der Perspektive der verschiedenen Künstler/innen zu besuchen  Besucher/innen der Ausstellung hingegen können nach ihrem Besuch die Auseinandersetzung vertiefen. Die Kolumne erscheint monatlich zum jeweils 15. auf der Webseite der Landesgalerie Niederösterreich. 

 

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Abbildung:
  • Margot Pilz, Das letzte Abendmahl. Hommage à Kremser Schmidt, 1979 © Wien Museum, Bildrecht Wien, 2019

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