Kolumne 11/15

Jaqueline
Scheiber

01 | Egon Schiele, Selbstbildnis mit langem Haar, 1907 Ausstellungsansicht (c) Kunstmeile Krems

Betrachtung in eigener Sache

Die Zeit schreitet voran. Sie hat sich an die neuen Gegebenheiten gewöhnt, hat sich bestätigt und zurechtgefunden. Sie fließt voran, im Takt der Zeitlosen, der Entfernten, unter Bedingungen der Entschleunigung. Stille rankt sich Tag um Tag um unsere Glieder. Nacht um Nacht wachen wir auf in einer Welt mit neuer Ordnung, platziert in den eigenen vier Wänden.

Während wir im Begriff sind, in fließenden Bewegungen monotone Tagesabläufe zu verzeichnen, in abgestecktem Rahmen das Leben an jenen Orten zu suchen, die uns noch zugänglich sind, suche ich nach dem Unterschied in der Darstellung des Selbst.

Nicht nur in unserem Äußeren, sondern auch in unserem Verhalten machen wir deutlich, wie wir wahrgenommen werden. Es sind die Unangepassten, die Rebellen unter uns, die hervorstechen und durch ihren Habitus Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei ist es eine hohe Kunst, die gesellschaftliche Ordnung nicht bloß zu erkennen, sie in ihren geordneten Bahnen zu begreifen, sondern vielmehr, sich ihr zu widersetzen. Im Laufe der Zeit bedarf es immer größeren Sprüngen abseits der Norm, um als andersartig zu gelten. Schon längst reicht es nicht mehr aus, ein gut-bürgerliches Leben in all seinen Facetten abzulehnen.

Egon Schiele, zu seiner Zeit, war einer derer, die noch vor dem ersten Pinselstrich die Selbstdarstellung durch ihr Verhalten plakatierten. In einem Brief an Josef Hoffmann im Jahr 1910 macht er deutlich, wie sehr ihm die gesellschaftliche Ordnung widerstrebt. Er ist in seinem Verhalten radikal und formt sich dadurch zur Kunstfigur. Was ihn zu seiner Zeit sonderbar macht, macht ihn später zu einem authentischen Künstler. Es ist keine Maske, kein Schauspiel, das sich Schiele aneignete, um aufzufallen. Es liegt im Kern seiner Identität, sich abzuspalten, ja sogar voller Ekel abzugrenzen von dem, was sich zu seiner Zeit als angemessen erwies.

An Schieles Beispiel lässt sich zeigen, dass das Rebellentum an sich einen Teil der Selbstdarstellung verkörpert. Das Verhalten wandelt sich um zu einer Haltung und erschließt sich durch eine besondere Perspektive auf die Welt. Den Außenstehenden bietet sich die Möglichkeit, die gegenwärtigen Normen zu hinterfragen und einen Kontrast zu schaffen. Die Kunst der Selbstdarstellung als Antwort auf die Frage nach den Lücken unserer Gesellschaft.

 

Jaqueline Scheiber

 

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