Todestag Egon Schiele

Die Prozession

Ausstellungsansicht Schiele - Rainer  Kokoschka. Der Welt (m)eine Ordnung geben. Sammlung Ernst Ploil. Eine Auswahl
(c) Kunstmeile Krems, Foto: Raffael F. Lehner

DER KURATOR

Auszug aus dem Katalog

Die Kunstgeschichte ist voll von Darstellungen, die sich mit der Vergänglichkeit beschäftigen. Aber Schiele gibt sich nicht zufrieden mit der Schilderung der Vergänglichkeit. Er will eine Antwort formulieren auf die Frage nach dem Sein. Dass es den Tod gibt, ist für Schiele hier kein Thema. Er hat ihn in den Monaten zuvor mehrfach abgehandelt („Tote Mutter“, „Tote Stadt“). Jetzt interessiert ihn die Frage: „Was ist das Leben?“ Und er schafft mit der „Prozession“ eine gültige Antwort. Das Leben ist etwas Heiliges. Nur eine Prozession fast byzantinisch erscheinender Wesen kann das illustrieren. Dann: Das Leben ist weiblich. Folgerichtig sind es drei Frauen, die diese Prozession bilden. Als Kind, reife Frau und Greisin stehen sie für die Lebensstationen des Menschen: für Unschuld, für Erfahrung, für Resignation. Und schließlich: Das Leben ist ewig. Durch die Schrittbewegung des jungen Mädchens wird der Kreis zu einem Kreislauf (also wirklich zu einer Prozession), noch dazu im Uhrzeigersinn, was wiederum den Faktor Zeit einbringt. Das Leben ist also der Zeit unterworfen und überdies wie Ouroboros (die sich in den Schwanz beißende Schlange) unendlich.

(Herbert Giese)

Direktor Christian Bauer, Kurator Herbert Giese und Sammler Ernst Ploil im Gespräch
(c) Kunstmeile Krems, Foto: Raffael F. Lehner

DER DIREKTOR

Auszug aus dem Katalog

Zwei monumentale Figuren werden derart von einer Felsenlandschaft eingefasst, dass sich nur deren Gesichter klar darin ausmachen lassen. Im obersten Bildfeld sind noch schemenhaft zwei weitere Fragmente eines Kopfes erkennbar, die fast schon völlig mit den Felsen verschmolzen scheinen. Die Dargestellten sind selbst Teil der Landschaft geworden, die von Schiele spirituell erlebt wird, Elemente daraus werden menschengleich empfunden. Eine jugendliche weibliche Figur bringt Farbe ins Bild. Sie trägt eine blaue Masche und blickt mit aufgerissenen Augen auf die Betrachter/innen. Neben ihr ist das ovale Gesicht einer älteren — wohl ebenfalls weiblichen — Figur erkennbar. Diese hat die Augen völlig verschlossen und ist kraftlos in sich zusammengefallen.

Wenn man das gleichzeitige Schaffen Schieles betrachtet, so ist das Familienthema häufifig im Kontrast der sterbenden Mutter zu dem kraftstrotzenden Kind herausgearbeitet. Diese Darstellungen spiegeln zumeist auch die eigenen Familienerfahrungen des Künstlers wider, immer im Kontrast zur Mutter, der gegenüber sich Schiele zeitlebens fremd gefühlt hat. Er erkennt sich hier in der jungen weiblichen Gestalt wieder, wie die vierte Signatur „EGON“ neben der Darstellung nahelegt. Die Ergründung der eigenen Identität ist das zentrale Thema im Werk Egon Schieles, auch die „Prozession“ hat Anteil daran.

(Christian Bauer)

Kurator Herbert Giese, Sammler Ernst Ploil und Direktor Christian Bauer (noch immer) im Gespräch
(c) Kunstmeile Krems, Foto: Raffael F. Lehner

DER SAMMLER

Auszug aus dem Katalog

Schiele stellt sich hier als unschuldigen jungen Menschen dar, der von seinen Eltern barfuß und naiv ins düstere und bedrohliche Leben entlassen wird. Der Vater ist eben gestorben, entweicht aus dem für den Betrachter sichtbaren Bild nach oben weg. Mit einigen, in die weiche Farbe flüchtig hineingekratzten, hellen Linien veranschaulicht der Künstler seine Vorstellung, dass dieser Vater trotz seines Todes weiter auf sein Kind einwirkt. Die Mutter sitzt apathisch und mit sich selbst beschäftigt da, ohne erkennbare Anteilnahme am Schicksal und den Sorgen ihres Kindes. Und das Kind — eben Egon Schiele, allerdings in der Gestalt eines jungen Mädchens — schreitet bloßfüßig, also sichtbar schutzlos, ins (Erwachsenen-)Leben.

Die drei Signaturen am unteren Rand symbolisieren ebenfalls die aus den Eltern und ihrem Kind bestehende Familienkonstellation. Und wie zur eindringlichen Erklärung ist rechts neben dem Schiele darstellenden Mädchen nochmals der Name „EGON“ eingeritzt. So als habe der Künstler uns sagen wollen: „Für alle, die mein Bild nicht verstanden haben, das bin ich.“ Zu all dem passt auch der von Schiele gewählte Titel des Bildes gut: „Prozession“. Also Gang hinaus in die Welt.

(Ernst Ploil)

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