Kuratieren auf Distanz

Spuren und Masken der Flucht

(c) Linda Zahra, aus der Serie „A Window in Exile“, 2017

Es war Glück im Unglück. Mit Mitte März, so unser Zeitplan, sollte die Künstler/innenliste und größtenteils auch die Werke fixiert sein. Dann kam der Corona-Shutdown. Zusammen mit meinem Kuratorkollegen Georg Traska arbeite ich seit rund einem Jahr an der Ausstellung Spuren und Masken der Flucht, ein ehrgeiziges Projekt mit über dreißig Positionen von vor allem in Österreich lebenden Künstler/innen, wobei viele von ihnen selbst Flucht erfahren haben. In den ersten Monaten des Jahres standen noch zahlreiche Atelierbesuche und Treffen mit Künstler/innen auf dem Programm. Wären diese Termine mit den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus kollidiert, wäre das Projekt wohl zum Stillstand gekommen und eine Verschiebung unausweichlich gewesen.

Doch auch so ist es nicht einfach, den ambitionierten Eröffnungstermin am 11. September einzuhalten (unabhängig davon, dass man noch nicht weiß, wie eine Eröffnung zu dem Zeitpunkt aussehen kann). Denn nun beginnt die „heiße Phase“ des Projektes: Die gesamte Ausstellungsproduktion läuft an, Verträge werden abgeschlossen, Werklisten und Hängepläne erstellt. Daneben steht ein intensiver Austausch mit den Künstler/innen über ihre Werke an, viele Details etwa bzgl. Inhalt, Transport oder Präsentation sind noch abzuklären. Auch die Katalogproduktion mit grafischem Konzept, Textbeiträgen (u. a. von Gastautor/innen) und der Gestaltung von Bildstrecken ist in den Startlöchern. Die aktuelle Situation erschwert eine reibungslose Umsetzung, vieles kann im Homeoffice erledigt werden, manches (wie z. B. eine Fotosession in Atelier) muss allerdings warten. Einige Künstler/innen produzieren neue Werke für die Ausstellung, auch dies ist derzeit nicht ohne Schwierigkeiten möglich. Und natürlich muss bei all dem ein wachsames Auge auf das Budget geworfen werden.

Vieles fehlt, vieles vermisse ich. Besonders die persönlichen Gespräche mit Stapeln von Büchern und handgeschriebenen Notizen, den Gang durch die Ausstellungsräume zum Spüren des Hängekonzeptes, den Austausch mit dem Künstler, der Künstlerin vor den Originalen im Atelier. All die neuen Möglichkeiten des Internets können diese unmittelbaren Erfahrungen nur bedingt ersetzten. Doch wir werden es auch so schaffen – es ist den Aufwand wert! Flucht und Migration kann neben dem Coronavirus und dem Klima als das Thema unserer Zeit bezeichnet werden, und es ist überaus bereichernd zu sehen und zu erfahren, wie vielschichtig sich Künstler/innen damit auseinandersetzen.

 

Günther Oberhollenzer
Kurator Landesgalerie Niederösterreich

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