Helmut Kandl

Gefundenes Fressen

(c) Raffael F. Lehner

Helmut Kandl, Gefundenes Fressen, 1990

Helmut Kandl war begeistert. Zufällig fiel ihm ein großes Konvolut an alten Fotografien in die Hände, das sich als wahrer Schatz entpuppte. Die vielen tausenden Bilder eines anonymen Wiener Fotografen dokumentierten detailliert dessen Leben von den 1930ern bis in die 1950er-Jahre. Kandl eignete sich die Fotos an und machte aus mehreren hundert eine Slideshow. Ich kann mich noch gut erinnern, wie mir der Künstler diese vor einigen Jahren gezeigt hat. Ich war fasziniert von dem privaten Einblick und der Ästhetik des Trivialen, gleichzeitig fühlte ich mich aber auch als Voyeur, waren diese Bilder ja nicht für meine Augen bestimmt. Sie sind in der Ausstellung Viva Archiva! nicht zu sehen, wohl aber eine Bildabfolge mit dutzenden Schwarz-Weiß-Portraits, die ebenfalls Teil des Fundes waren, sowie die assoziative Überblendung eines jungen Mannes im dreiviertel Profil (entnommen aus der Porträtserie) mit (Kriegs-)Flugzeugen. Da der anonyme Fotograf alle Bilder gekennzeichnet hat, sind sie auf die Jahre 1943-45 datierbar. Doch wer waren diese Menschen? Wir wissen es nicht.

In einer historisch-wissenschaftlichen Ausstellung könnten sie wohl nicht gezeigt werden, fehlt doch jegliche Angabe und Kontextualisierung der zu sehenden Personen. Es ist aber das Privileg des Künstlers, sich darüber hinwegzusetzen und die eindringlichen Portraits in die Schau aufzunehmen. Aufgenommen in den letzten Kriegsjahren entziehen sich einfachen Opfer-Täter-Zuschreibungen und haben dennoch viel zu erzählen.

Und wer weiß – vielleicht entdeckt ein*e Besucher*in der Ausstellung einen Verwandten... in diesem Fall wäre der Künstler über eine Benachrichtigung sehr dankbar!

 

Günther Oberhollenzer

Kurator Landesgalerie Niederösterreich

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