Chiharu Shiota

im Gespräch mit dem Kurator

Chiharu Shiota (2. v. l.) und ihre Studio-Mitarbeiterinnen mit Günther Oberhollenzer im Atelier in Berlin (c) Kunstmeile Krems

Günther Oberhollenzer (GO): Erinnerung und Verbundenheit sind Grundthemen deiner Arbeit. Kannst du ein wenig ausführen, was diese Begriffe für dich bedeuten?

Chiharu Shiota (CS): Ich bin der Meinung, dass wir alle miteinander verbunden sind. Wir sind alle Menschen und machen daher ähnliche Erfahrungen. Wir alle haben Erinnerungen, zum Beispiel an die Liebe einer fürsorgenden Person, an kindliche Empfindungen, an Liebeskummer und Einsamkeit oder Krankheit oder Angst. Wir können uns mit den anderen identifizieren. Durch das Teilen meiner oder anderer Erinnerungen glaube ich, dass die Besucher*innen sich darin wiederfinden und an ihre eigene Geschichte erinnert werden. Dadurch fühlen wir uns miteinander verbunden.

GO: Woher kommt deine Faszination für (rote) Fäden, für das Inszenieren von dichten Netzgeflechten? Was symbolisieren die Wollfäden für dich?

CS: Ich habe Malerei studiert und bin an einen Punkt gelangt, an dem ich mich von der Technik entfernt habe. Jedes meiner Gemälde hat sich angefühlt wie die Schöpfung von jemand anderem, nicht von mir. Ich habe begonnen, mit Installationen zu experimentieren. Zuerst waren das oft performance-basierte Installationen. Eines Tages träumte ich davon, dass ich in einem Gemälde stand – diesen Traum habe ich in meiner Arbeit „Becoming Painting” umgesetzt. Diese Idee hat mich nicht mehr losgelassen und ich wollte Zeichnungen im Raum machen. So kam ich darauf, mit Garn zu arbeiten.

GO: Unzählige rote Fäden durchziehen auch den lichtdurchfluteten Ausstellungsraum der Landesgalerie Niederösterreich. Wie hast du dich diesem besonderen Raum angenähert? Was findest du an ihm reizvoll, was herausfordernd?

CS: Meine Arbeiten sind sehr raumbezogen, daher freut es mich immer, ungewöhnliche Räume vorzufinden. Der Raum in der Landesgalerie Niederösterreich hat die Form eines Zelts und verfügt über riesige Fenster. Ich mag es, das Innere mit dem Äußeren zu verbinden. Aber Tageslicht ist auch eine Herausforderung für meine Arbeit, da ich die Installation sehr dicht gestalten muss. Das ist meine erste Installation vor so einem großen Fenster, und es ist eine Herausforderung, dass sie auch aus der Ferne gesehen und nicht nur durchschritten werden kann.

GO: Die Ausstellung findet in Krems, Niederösterreich, statt, am Tor zum Weltkulturerbe Wachau, direkt an der Donau gelegen… Was hat dir an diesem Ort besonders gefallen, welche Gefühle verbindest du mit ihm? 

CS: Die Donau ist in Krems sehr präsent und ich wollte sie vom ersten Moment an in meine Ausstellung einbeziehen. Das Museum bietet unterschiedliche Ausblicke auf die Donau und mir gefiel die Proportion der Häuser im Vergleich zum Strom. In Krems wird man ständig und überall daran erinnert, dass es da draußen eine Welt gibt, die im steten Wandel begriffen ist.

GO: Das Wollfadengeflecht ist mit am Boden liegenden Booten verbunden. Immer wieder kommen Boote in der Arbeit vor. Hier sind es Zillen, wie sie in Niederösterreich für die Donaufahrt verwendet werden. Welche Rolle kommt ihnen in der Installation zu?

CS: In meinen Installationen verwende ich gerne Boote, da sie für mich Ungewissheit und einen Prozess verkörpern. Boote haben ihre Form nicht von ungefähr, und sie können sich nur nach vorne bewegen. Gleichzeitig bewegen sie sich oft in das große Unbekannte. Ich begann mich für sie zuerst aufgrund der Formensprache zu interessieren, da sie mich an zwei Hände erinnerten, die in einer empfangenden Geste ausgestreckt sind. Sie sind dazu da, die Installation zu verankern und stellen den Ort dar, zu dem Besucher*innen Bezug herstellen können. Der Titel meiner Ausstellung „Across the River“ bezieht sich sowohl darauf, den Fluss zu überqueren als auch ihm zu folgen. Die Donau fließt durch 14 Länder. 14 verschiedene Nationalitäten sind mit ihr heimatlich verknüpft. Sie ist ein starkes Symbol dafür, wie wir miteinander verbunden sind – bei allen kulturellen Unterschieden. Die Donau kann ich zwar nicht ausstellen, sehr wohl aber die Boote, mit denen sie befahren wird.

GO: Was bedeutet Heimat für dich?

CS: Ich bin in der Kunst daheim. Seit ich Japan verlassen habe, bin ich gefühlsmäßig heimatlos. Ich fühle mich weder in Deutschland völlig zuhause, noch in Japan. Aber ich fühle mich ziemlich zuhause, wenn ich meiner Arbeit nachgehe. Die Kunstwelt ist überall auf der Welt gleich, daher würde ich sie meine Heimat nennen.

GO: Gibt es einen Wunsch, wie die Besucher*innen deiner Arbeit begegnen sollen? Welche Gefühle oder Gedanken sie auslösen soll?

CS: Ich lege meine Arbeiten so an, dass sie eigene Gedanken und Erinnerungen in den Betrachter*innen auslösen. Viele meiner Arbeiten befassen sich mit dem Konzept der Präsenz der Abwesenheit. Ich finde es interessant, dass die Leere Assoziationen in den Besucher*innen auslöst. Sie müssen nicht unbedingt mit dem Hintergrund meiner Werke vertraut sein. Ich kann nachvollziehen, warum sie wissen wollen, was ich vorhabe. Aber ich mache nicht Kunst, um eine Geschichte zu erzählen.

 

Erfahren Sie mehr über die Ausstellung Chiharu Shiota. Across the River!

Titelbild (c) Sunhi Mang

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