Kolumne 04/15

Jaqueline
Scheiber

Welche Möglichkeiten der Gestaltung stehen uns tatsächlich zur Verfügung? Wo manifestieren sich Merkmale zu einer Eigenschaft? Und was ist von Dauer? Ich bin in einer Generation aufgewachsen, die sich laufend selbst beobachtet. Die Möglichkeit an Dokumentation, Variation und Vervielfachung war verlockend und wurde gerne als Eitelkeit missverstanden. Digitalkameras und Smartphones bieten nunmehr vereinfacht gesagt eine weitere Ebene der Betrachtung. Der Raum des Ausdrucks erweitert sich um ein Mehrfaches. Heute sehen wir junge Kinder, die ihre Gesichter in Bildschirmen reflektiert sehen und bald ein Bewusstsein für Mimik, und Außenwirkung entwickeln. Abseits von entwicklungspsychologischen Aspekten, die die Digitalisierung mit Sicherheit zu Recht kritisch und komplex diskutieren, gilt meine Aufmerksamkeit der Möglichkeit sich zu entfremden.

Es gibt Filter, zahlreiche Bearbeitungsapps, die zur Verfügung gestellten Mittel sind leicht zugänglich und einfach zu bedienen. Ein digitaler Kostümverleih, der jede beliebige Maske zur Verfügung stellt. Der Identitätsbegriff wird mittlerweile getrennt, zwischen Social-Media-Auftritt und dem Realen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass das Digitale längst Einzug in unser reales Wahrnehmen, unsere zwischenmenschliche Interaktion und den Einfluss auf unser Unbewusstes genommen hat. Wie Schiele hinter vorgehaltener Hand für seine obszönen Darstellungen in der Malerei geächtet wurde, unterscheidet sich nur partiell von der Art, wie wir „Selfies“ und ähnliche Gepflogenheiten der Social-Media-Bewegung als befremdlich einstufen.

Nicht außer Acht zu lassen ist, dass bei jeder Erweiterung von Möglichkeiten die Aneignung einer stabilen Grundlage mehr und mehr herausfordernd ist. Wenn ich alles sein kann, bin ich vielleicht auch nichts. Vor allem das Streben nach Identitätsfindung in der Adoleszenz zeigt sich als eine der prägendsten Phasen. Nicht nur viele Kunstschaffende, sondern auch zahlreiche bekannte Persönlichkeiten bilden in den Jahren der Ablösung, der Rebellion ihre Merkmale aus. Was bleibt? Die Werke vieler Epochen, die sich auf endlos-wirkenden Cloud-Speichern reproduzieren, während wir in den Kunsthäusern dieser Welt auch unseren Besuch dokumentieren, Unmengen an Datensätzen, die Gesichter, Geschichten und das Selbst in seiner Unbegreifbarkeit festschreiben. Was haben all diese Querschnitte miteinander gemein? Sie sind das Bedürfnis, die gegebene Physik einzuordnen und zu begreifen. Sie sind der Versuch, etwas zu markieren, in dem man sich wiedererkennt. Sie sind der der Spiegel, mit all seinen Verzerrungen und Wegen in das Innere. Eine Diskrepanz der Eigen- und Fremdwahrnehmung, die keine Deckungsgleichheit findet.

- Scheiber Jaqueline

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