Kolumne 14/15

Jaqueline
Scheiber

Ausstellungsansicht (c) esel.at

Betrachtung in eigener Sache

Wir haben die Möglichkeit, in eine Parallelwelt einzutauchen, wenn die Realität keinen Platz für uns vorgesehen hat. Die Zeit, in der wir leben, verwehrt manchen von uns die Möglichkeit, uns selbst zu verwirklichen.Nicht selten dienen Orte der Kunst und Kultur auch dazu, von dem Alltagsschaffen zu entfliehen, sich in fremde Welten hineinzuträumen und sich von unterschiedlichen Realitäten beflügeln zu lassen. Kann dabei die Darstellung des Selbst eine Grenze durchbrechen und zur Darstellung einer gesamten Welt werden?

August Walla behandelt in seinen Werken seine biografischen Einschnitte. Er verarbeitet den Tod seiner Großmutter und die Angst vor dem Verlust seiner Mutter. Er ist früh Patient in psychiatrischen Einrichtungen und im Laufe seines Lebens immer wieder auf stationäre Aufenthalte in genau diesen angewiesen. Auf den ersten Blick scheint es, als ob die Welt für August Walla kein Ort sein kann, an dem er sich verwurzeln kann. In seinem kreativen Schaffen hingegen vereinnahmt er Räume, Gegenstände, Bäume und Häuserwände. Er malt, schreibt und fotografiert eine Welt, wie er sie betrachtet. Und letztlich, wie er sich selbst in ihr betrachtet. Walla kämpft Zeit seines Lebens mit Geschlechterzugehörigkeit und einer gesellschaftlichen Ordnung, die ihm fremd erscheint. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Kunst keine Flucht, sondern etwas Selbstermächtigendes für die Identitätsstiftung sein kann.

Was ist normabweichendes Verhalten? Unser Verständnis von Norm wird uns beigebracht, anerzogen. Wir reihen uns ein in Leben, die vor uns gelebt wurden. Hinterfragen meist nur minimal das System, das wir selbst mit aufrechterhalten. Normabweichende Denker/innen suchen nach Orten, wo ihre Perspektiven nicht pathologisiert, sondern verstanden werden können. Nicht allen mag es gelingen, doch manche, darunter eben August Walla, finden eine Möglichkeit, ihre Andersartigkeit zu kanalisieren und daraus eine für sie passendere Ordnung zu erschaffen.

Kunst- und Kulturhäuser sind nicht nur Orte intellektueller Zerstreuung. Sie sind auch Räume voller Welten, voller Begegnung und Akzeptanz. Sie sind eine mögliche Art der Verortung in einer Realität, die oft keinen passenden Platz für uns vorgesehen hat.

 

Jaqueline Scheiber

 

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