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Auf zu Neuem 3/3

Die 1990er-Jahre:
Multipluralismus, neue Medien und obsessive Selbstbefragung

Kleidung in grellen Neonfarben, der erste Discman und immer wieder „Friends“, die Backstreet Boys, Spice Girls oder doch lieber Nirvana, der Gameboy, ein Handy von Nokia und das Internet entdecken (wenn sich das Modem endlich eingewählt hatte) – wer sie erlebt hat, denkt gerne daran zurück: die 1990er Jahre! In gesellschaftspolitischer Hinsicht steht am Beginn der Mauerfall und am Ende der 11. September. Österreich rückt vom Rand Europas wieder in die Mitte und wird Teil der EU, der europäische Einigungsprozess wird vorangetrieben. Das Jahrzehnt prägt auch die fortschreitende Digitale Revolution, die zunehmende berufliche wie private Nutzung von Computern und Mobiltelefonen sowie das Aufkommen des Internets.

In der Kunst scheint alles möglich zu sein. Genres und Richtungen existieren nebeneinander, Gattungen häufen sich und werden durchlässig, Hierarchien zwischen Hoch- und Populärkultur lösen sich auf. Das Kunstschaffen ist durch einen Multipluralismus gekennzeichnet, in den vielfältigen Szenen ist kein prägender Stil, keine große verbindliche Linie oder Ausdrucksform ausmachbar. Nicht mehr ein zentraler Bruch mit Traditionen oder auch ihr Wiederaufleben bestimmt das Jahrzehnt, sondern gerade die Vielzahl und Gleichzeitigkeit möglicher künstlerischer Konzepte.

Konzeptkunst und neue Medien

Die Auswahl der in dieser Ausstellung vorgestellten Künstler*innen ist natürlich subjektiv, allen ist aber gemein, dass sie Themen und Fragestellungen aufgreifen, die jene Jahre prägen, in ihrer künstlerischen Umsetzung aber visionär und ihrer Zeit voraus waren. Konzeptkunst und neue Medien treten verstärkt in den Vordergrund, multimediale Arbeiten erfreuen sich großer Beliebtheit: Heimo Zobernig löst klassische Kunstgattungen wie Malerei, Bildhauerei oder Architektur auf und hinterfragt gängige, institutionell bedingte Präsentationsmechanismen wie überhaupt das Zurschaustellen von (Kunst-)Objekten. Walter Obholzer begründet die konzeptionelle Malerei in Österreich, und Florentina Pakosta erarbeitet Trikolore Bilder mit konstruktivistischem Charakter. Peter Kogler gestaltet computeranimierte Raumlabyrinthe, Romana Scheffknecht kreiert Video- und Medienskulpturen mit philosophischem und medienreflexivem Inhalt, und Dorothee Golz erschafft surreal anmutende Skulpturen als materiell sich manifestierende Gedankenräume. Brigitte Kowanz baut raumbezogene Lichtkunstwerke, Eva Schlegel und Herwig Kempinger loten Bildhaftigkeit und Möglichkeiten der Fotografie neu aus. Gerwald Rockenschaub hinterfragt den Charakter des Werks und seiner Autorenschaft, Erwin Wurm und Josef Bauer erweitern mit den One Minute Sculptures und der Taktilen Poesie den Skulpturenbegriff.

Selbstdarstellung und Genderfragen

Die 1990er-Jahre sind auch die Zeit kurz vor dem großen Durchbruch des Internets, und es scheint fast so, als ob manche Künstler*innen Internettrends, wie etwa die exzessive Selbstdarstellung und -inszenierung durch das Selfie oder auch die Kombination von Wort und Bild in Form von „Memes“, vorweggenommen haben. Matthias Herrmann und Elke Krystufek (heute Elke Silvia Krystufek) sind in jenen Jahren in der österreichischen Kunstszene mit ihren Selbstinszenierungen omnipräsent, Debatten über den weiblichen und männlichen Blick (wie auch heute wieder) im Trend. Während Herrmann sich in expliziten Fotos mit Männlichkeit, Homosexualität und queerer Subkultur beschäftigt, inszeniert Krystufek ihr Leben und ihre Sexualität in Malerei, Fotografie, Film sowie aufsehenerregenden Performances und hinterfragt Genderfragen, aber auch unseren eigenen Voyeurismus. Muntean/Rosenblum schließlich zeigen in Fotografien, Malereien und Performances gelangweilte junge Erwachsene. Ihre aufgeladenen Posen und Gesten in Kombination mit aphoristischen Textfragmenten scheinen fast einem aktuellen Influencer-Kanal entsprungen zu sein.

Günther Oberhollenzer
Kurator Landesgalerie Niederösterreich

AUF ZU NEUEM. DREI JAHRZEHNTE VON SCHIELE BIS SCHLEGEL AUS PRIVATBESITZ

AB 27. MÄRZ 2021

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