Kolumne 02/15

Jaqueline
Scheiber

Betrachtung in eigener Sache

Beschäftigt man sich mit der Symbiose zwischen Äußerem und Innerem, kommt man nicht an der Frage nach Freiheit vorbei. Es ist ein gesellschaftspolitischer Akt, die eigene Identität zu entwickeln und sie nach außen zu stülpen. Gerade, wenn diese sich von der Norm abhebt. Die Annahme, dass Kunstschaffende dabei einen geschützten Raum erschaffen, in welchem sie ohnehin als Außenstehende, als Übertriebene bezeichnet werden, bedingt die Konsistenz einer engen Betrachtung, was sein darf und was nicht. Bevor also näher erläutert werden kann, inwiefern die bewusste Mitbestimmung der Darstellung ihre Auswirkungen auf unser Äußeres hat, muss man sich unweigerlich dem Hindernis stellen, wie frei wir in unserer Wahl nach Ausdruck sind.

Die Freiheit ist ein Paradoxon. Uns frei von Erwartungen und Normen zu machen, geht einher mit der Einschränkung an gesellschaftlicher Teilhabe. Je freier das Individuum sich definiert, umso stärker bildet sich der Kontrast zu der Schnittmenge, in der es sich bewegt. Auffallen bedeutet demnach nicht nur Selbstverwirklichung, sondern auch ein verstärktes Aussetzen von Bewertung und Urteil. Sich Raum zu nehmen heißt auch, Fläche für Interpretation zu erschaffen.

Manche Persönlichkeiten streben nach der Differenz, der Ausformulierung ihres Unterschiedes, es gestaltet sich als Kraftakt ein Alter Ego zu entwerfen, das sich von der Norm abhebt.

Worin wir uns definieren bildet einen Querschnitt der Rollen, die wir bedienen. Die Rollen, die wir wählen (können), stehen im Bezug zu unserer Freiheit. Nicht nur in der Kunst, in jeglicher Interaktion, hat es Auswirkungen, welche Darreichungsform unserer Selbst wir zur Verfügung stellen, welche Ideen wir in unserem Gegenüber wecken und wie sehr sich dies mit dem persönlichen Blickwinkel deckt.

Fernab von dem Spiel mit Farben und Formen etabliert sich ein Zwang, eine Grenze zu markieren, etwas anderes zu werden. Sich selbst zu vervielfachen ist leichter denn je und eingeschränkter wie nie zuvor. Die zur Verfügung gestellten Möglichkeiten liegen in der Gegenwart im Unermesslichen, ihre Konsequenzen sind nicht selten eng verbunden mit psychischer Gesundheit. Es ist längst nicht mehr ausreichend, eine Figur zu erschaffen. Unsere Maxime haben sich verschoben, hin zu einem Streben nach Verwirklichung. Doch wie wirklich ist die Darstellung, und entfernt uns die Gestaltung von der Wahrheit oder rückt sie uns näher an sie heran?

Jaqueline Scheiber - junge Schriftstellerin, Sozialarbeiterin und eigens ernannte Selbstdarstellerin - ist Autorin der Kolumne "Betrachtung in eigener Sache", die parallel zur Ausstellung "Ich bin alles zugleich – Selbstdarstellung von Schiele bis heute" eine weitere Facette zur Auseinandersetzung mit dem Selbst bietet. Leser/innen finden dadurch eine anonyme Möglichkeit, eine Reflexionsbasis für das Thema zu schaffen und können angeregt werden, die Ausstellung unter der Perspektive der verschiedenen Künstler/innen zu besuchen -­ Besucher/innen der Ausstellung hingegen können nach ihrem Besuch die Auseinandersetzung vertiefen. Die Kolumne erscheint monatlich zum jeweils 15. auf der Webseite der Landesgalerie Niederösterreich. 

 

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02 | Arnulf Rainer, Fliege (Face Farce), 1972
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Abbildung:
  • Jaqueline Scheiber
  • Landesgalerie Niederösterreich Foto: Lukas Beck
  • Jaqueline Scheiber

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